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Mutter, Vater, zwei Töchter – sie gehen über den Golfplatz. Die Mädchen sind noch klein, laufen mit, doch bald wollen sie den Schläger selbst in der Hand halten. Carine ist 12, als sie mit dem Spielen beginnt, ihre Schwester Nadja zweieinhalb Jahre älter.
Szenenwechsel. Mitte Oktober 2020. Die beiden Schwestern stehen oft gemeinsam auf dem Platz. So auch heute – begleitet von zwei männlichen Kollegen. Die Liebe zum Golfen und zur Heimat, dem Engadin, ist geblieben. Mitte Oktober wird es Mittag bis auf dem Golfplatz gespielt werden kann. Der Reif, der sich in der Nacht über den Rasen legt, verlangt den Golfern Geduld ab. Eine gute Vorbereitung aufs Spiel.
«Auf dem Golfplatz kann ich abschalten. Es ist friedlich und ruhig», sagt Carine. Und die Kulisse – einmalig. Gerade im Herbst, wenn die Bäume verfärbt sind, man den Herbst förmlich riechen kann und auch der Winter nicht mehr lange auf sich warten lässt. Die Abwechslung tue ihr vor allem dann gut, wenn sie intensives Sommertraining fürs Langlaufen betreibe. Die junge Engadinerin aus St. Moritz ist Profisportlerin und läuft in der Visma Ski Classics Serie – das heisst, sie bestreitet Langdistanzrennen in klassischer Technik über jeweils 35-90 Kilometer. Vor einigen Jahren noch war sie, bis zu einem Übertraining, das sie zurückgeworfen hat, im Swiss Ski Kader. Damals ist ihr klargeworden, wie gut ihr golfen tut – als mentales Training. Seither ist es mehr als ein Hobby. Golfen heisst abschalten, sich ganz auf den Moment konzentrieren. Bei 18-Loch bedeutet dies rund vier Stunden Konzentration. «Wenn man einen schlechten Schlag hat, hakt man es ab und macht weiter. Diese Einstellung hilft mir auch im Winter, denn wenn du über 90 Kilometer irgendwann nicht mehr kannst, musst du auch weitermachen, vorausschauen und den Fokus nicht aus den Augen verlieren.»
Carine Heuberger ist heute 23 Jahre alt, zierlich, hat hellbraunes Haar, grün-blaue Augen und steckt voller Energie. Gemütlich geht es bei ihr auch auf dem Golfplatz nicht zu und her: «Wir sind bekannt dafür, dass wir schnell spielen, wir rennen quasi über den Platz», sag sie mit einem Lächeln und meint damit zweifelsohne sich und ihre Schwester. Den Bag mit den Schlägern tragen sie quer über den Rücken. Dabei entsteht beim Laufen dieses Geräusch der Schläger, die aneinanderschlagen. «Es gäbe auch ferngesteuerte Trolleys, die wie ein Hund nebeneinem her rollen.» Auch die sieht man auf dem Golfplatz in Samedan. Ein zaghaftes Lächeln huscht über Carines Lippen bei dessen Anblick. Für sie ist der 10 Kilogramm schwere Sack auf dem Rücken ein zusätzliches Training. Spielt man 18 Loch läuft man auf dem Golfplatz in Samedan zudem rund 8 Kilometer. Das Gelände ist flach – anders als in Zuoz, wo es etwas hügliger ist. Weiter geht’s. Sie nimmt ihren Plüsch Koala vom «Driver», so nennt man den Schläger für den weiten Schlag. Die Hülle, oder eben der Koala, schützt den Schläger vor Schäden. Was hat es mit dem Tier auf sich? «Nichts, der ist einfach süss», sagt Carine und positioniert sich für den Abschlag. Apropos Weite - dank der dünnen Luft im Engadin fliegen die Bälle hier um einiges weiter als anderswo. Wer auf einen Rekord in Sachen “weitester Schlag” aus ist, ist hier richtig. Zudem bestechen die Golfplätze mit dem Panorama, das sie bieten - hier schweifen nicht nur Bälle in die Weite. Zurück zum Abschlag. 2, 3 Probeschwünge, dann auf den Ball. Carine hat Handicap 4.3 und bei der letzten Clubmeisterschaft den zweiten Rang belegt. Zufrieden ist sie damit nicht, denn sie wollte ihren Titel verteidigen. Trotzdem wird ihr im Clubhaus gratuliert, als wir beim frühen Mittagessen sitzen. Man kennt sich. “Wir sind wie eine grosse Familie und neuen Mitgliedern wird es einfach gemacht aufgenommen zu werden – das ist ein weiterer grosser Pluspunkt der Golfplätze im Engadin: man muss keine Berührungsängste haben.”
«Die, die einem Klischee entsprechen gibt es immer, auch beim Golf», sagt Carine darauf angesprochen. Aber es ist die Leidenschaft, die alle verbindet. Im Corona Sommer verbringt Carine mehr Zeit als sonst auf dem Golfplatz. Hier geht es ihr, trotz Ehrgeiz gut zu spielen, vor allem um den Spass. Sie verspürt keinen Leistungsdruck, spielt wenn sie Zeit hat und es interessiert – ausser sie selbst - niemanden, ob sie gut spiele oder nicht. Es ist ein kalter Herbsttag. Carine reibt die Hände aneinander bevor sie den Schläger erneut umfasst. Die weissen Fingerkuppen zeichnen sich dabei noch stärker ab. Beim Loch 14 spiegeln sich die verfärbten Bäume im Teich, über den gespielt wird. Einige Bälle verfehlen dabei ihr Ziel und landen im Wasser. Trotz tiefer Temperaturen herrscht ein reges Treiben auf dem Platz. Lange dauert es nicht mehr bis die Plätze winterfest gemacht werden – die Golfer nutzen also die letzten Stunden, um ihrem Hobby zu frönen. Eine wilddurchmischte Truppe – homogen durch die Liebe zum Golfen.
Wenn schon im Rough, dann mit besten Aussichten!