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Mit Geige und Feuer gegen Gletscherschwund 

Eis

Mit dem Wasser, das die Schweizer Gletscher seit 1960 verloren haben, liesse sich der Bodensee füllen, hat die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft berechnet. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz hat ermittelt, dass das Volumen der Schweizer Gletscher seit der kleinen Eiszeit um 1850 um gut die Hälfte abgenommen hat.

Die Eismassen schmelzen also weg und damit einer der wichtigsten Wasserspeicher. Doch nicht alle sehen dem tatenlos zu: Der Engadiner Glaziologe Felix Keller tut etwas dagegen.

Felix Keller, GLAZIOLOGE & VISIONÄR

Komplexes Problem, simple Idee

Neben der Talstation der Diavolezzabahn schneit es künstlich, besser gesagt: natürlich künstlich. Denn es schneit ohne Strom, nur mit Gletscherwasser und der Energie, die durch den Höhenunterschied zwischen Quelle und Lanze gegeben ist und so für genügend Druck sorgt. Aber es ist nicht nur eine einzige Lanze oder Kanone, sondern es sind ein, zwei, viele Düsen, vereint an einem aufgehängten «Schneiseil». Und das ist erst der Anfang respektive der Test für etwas ganz Grosses: Für die Rettung des Morteratschgletschers. Erfunden hat’s der Engadiner Glaziologe Felix Keller. Die Idee hatte er beim Fischen am Gravatschasee. Allerdings verwarf er sie dann auch gleich, nur um sie wieder aufzunehmen, weiter zu grübeln, während neben ihm das Wasser durchfloss, das Wasser des Morteratschgletschers. Zu banal schien ihm seine Lösung.

Schneeseil für die Rettung des Morteratschgletschers
Schneeseil für die Rettung des Morteratschgletschers

Als er beim Fischen dem vorbeiströmenden Wasser zusah, durchfuhr es ihn wie ein Blitz: «Man müsste das Wasser im Sommer auf dem Gletscher halten können und wieder gefrieren lassen, womit dem Gletscher geholfen werden könnte.» Noch traute er sich aber nicht, jemandem davon zu erzählen. Aus Furcht vor der Schmach, wenn sein Gegenüber den Geistesblitz zerpflückt hätte. Erst die Musik löste seine Zunge. Denn Keller ist nicht nur Glaziologe, sondern auch leidenschaftlicher Musiker. Die Geige hat es ihm angetan, vor allem in nordländischer Volksmusik und argentinischen Tangos. Weshalb er immer mal wieder im Duo mit dem holländischen Professor Hans Oerlemans – ebenfalls ein Glaziologe – auftritt, unlängst auch am Silvester im Hotel Morteratsch. Nach einer Tangoprobe zog Keller seinen Musiker- und Wissenschaftlerkollegen ins Vertrauen. Dieser erbat sich eine Woche Bedenkzeit, vermeldete dann, dass die Idee funktionieren könnte, allerdings müsste man aus dem Wasser Schnee machen, um den Gletscher damit abzudecken, womit er zu 100% vor dem Schmelzen geschützt sei.

Genau hier kommt nun das sogenannte Schneiseil ins Spiel, das von vier Fachhochschulen (Graubünden, Luzern, Nordwestschweiz und Ostschweiz) in Zusammenarbeit mit den Firmen Bartholet und Bächler Top Track in einem von Innosuisse geförderten Projekt entwickelt wird. Dabei wird eine Wasser-Luftleitung an dicken Tragseilen angehängt und die speziellen Schneidüsen direkt an dieser Leitung angebracht. Damit liesse sich eine Anlage bauen, die auf einer 1 Quadratkilometer grossen Fläche 32000 Tonnen Schnee pro Tag erzeugen könnte. Nach Kellers Idee soll dies auf dem Morteratschgletscher unterhalb des Berninamassivs sein. Und damit könnte, gemäss Oerlemans Berechnungen, der Schwund des Morteratschgletschers bis in zehn Jahren vorübergehend stark gebremst werden.

Felix Keller
Felix Keller

Mit Feuer und Geige

Mit diesen Erkenntnissen und dem Feuer der Leidenschaft für neue Projekte, das er in sich trägt, ging Keller auf Tournee. Als Erstes zum Gemeindevorstand von Pontresina, der von der Idee begeistert war. Danach begann die grösste Arbeit, wie Keller sagt, denn die Idee sei noch das Einfachste am ganzen Projekt gewesen. Der Glaziologe brauchte Geld für die Umsetzung und wurde zum erfolgreichen Vermarkter seiner Idee. Dabei griff er nicht nur auf herkömmliche Marketinginstrumente zurück, sondern bediente sich einer universellen Sprache: der Musik.

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Immer wenn es Motivation zum Handeln brauchte, packte er seine Geige aus und begann zu spielen. Mit Oerlemans zusammen oder auch alleine. Sein Spiel öffnete ihm Tür und Tor, wo er hinkam. Und er kam an viele Orte. In diverse Botschaften, an ein Rotarier-Treffen in Hamburg und gar bis nach Ladakh. Dort traf er Sonam Wangchuk, den Erfinder des «Ice Stupa». Genau wie Kellers Idee, die er beim Fischen hatte, dient auch Wangchuks Ansatz dazu, Wasser zu speichern. Denn das Gebiet im Himalaya gilt als sehr trocken und ist deshalb im Sommer auf Wasser angewiesen. Dieses speichern die Stupas in Form von bis zu 40 Meter mächtigen Eiske - geln. Vom Frühling bis zum Herbst schmelzen die Kegel ab, und mit dem Schmelzwasser bewässern die Einheimischen ihre Felder. Einen solchen Stupa – der Name und die Form leiten sich vom buddhisti - schen Wort für Gebetsstätte ab – bauen nun auch Keller und sein Team zusammen mit dem Churer Architekten Conradin Clavuot seit 2016 jeden Winter an verschiedenen Orten. Dieses Jahr steht ein Eis-Stupa neben der Talstation der Diavolezzabahn – hier schneit es also dank Schneiseil nicht nur natürlich künstlich, sondern es regnet auch noch Eis. Denn sobald das Wasser aus den Leitungen spritzt, gefriert es und gibt dem Eis-Stupa seine Eisform.

Eis-Stupa neben der Talstation der Diavolezzabahn
Eis-Stupa neben der Talstation der Diavolezzabahn

Felix Keller, GLAZIOLOGE & VISIONÄR

Der Glaziologe ist an der Academia Engiadina in Samedan Co-Leiter des Zentrums für Angewandte Glaziologie und Dozent an der Höheren Fachschule für Tourismus Graubünden. Als Lehrbeauftragter der ETH Zürich ist er für die Ausbildung von Dozenten im Bereich Umweltlehre verantwortlich.

Felix Keller, GLAZIOLOGE & VISIONÄR

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