Die Temperaturen werden frischer, die Tage kürzer, die Bäume bunter. Der Herbst ist da und mit ihm die Zeit des farbenfrohen Celeriner Alpabzugs. Für die Kühe geht es hinab in den heimatlichen Stall und die Zuschauer freuen sich auf den festlichen Umzug und auf ein fröhliches Volksfest mit Musik und gluschtiger Kost.
Feststimmung liegt in der Luft. Von nah und fern sind sie gekommen, um in Celerina den Alpsommer mit guter Laune und buntem Treiben zu verabschieden. Grund zum Feiern gibt es reichlich: die Leistung der milchgebenden Kühe, das prächtige Gedeihen der Jungrinder, den Sommer ohne Unfall und Krankheit auf den Alpen, die vollen Heuschober und reichlich heranreifender Alpkäse.
Die «S-chargeda d’alp», wie der klangvolle rätoromanische Name des Alpabzugs lautet, beginnt für den Grossteil der Jungrinder ruhig und ohne Zuschauer bereits am Vortag der grossen Feier. Es sind die milchgebenden Kühe, die noch am Morgen des Festtags auf der Alp gemolken werden und anschliessend von über 2000 Meter ü. M. hinunter nach Celerina marschieren, um dort von Jung und Alt bejubelt zu werden. «Nur alle fünf Jahre werden alle Tiere zum gleichen Zeitpunkt entladen», erklärt Elmar Bigger, der 2019 sein 50jähriges Jubiläum als Älpler von Celerina feierte. «300 Tiere auf einmal an einem Tag wegzubringen, ist fast unmöglich.»
Das «Tschäppeln» (rätoromanisch: Schmücken) der Kühe erfolgt auf dem Parkplatz des Cresta Run, dem Startpunkt der rund 3 km langen Strecke des Umzugs, der auf der Festwiese bei San Gian endet. Inmitten des Rummels wirken die kräftigen Tiere wie gelassene Ruhepole, während sie geputzt und gestriegelt werden. Prächtige, kunstfertig gesteckte Blumenkronen verleihen ihnen auf einmal etwas majestätisches und die grossen «Trycheln» (Glocken) um ihren Hals scheinen zu verkünden: «Seht nur, wie schön ich bin!»
Vorneweg schreitet der stolze Älpler mit zwei ganz besonderen Kühen: der besten und der schönsten. Während erstere über den Sommer am meisten Milch gegeben und sich somit diese Ehre redlich erarbeitet hatte, liegt Schönheit ganz im Auge des Betrachters – sprich: des Älplers. Die beiden vierbeinigen Damen tragen die Ehrenkronen mit Schweizerkreuz, gesteckt aus roten und weissen Blumen. Hinter ihnen folgt ihre Gefolgschaft aus geschmückten Kühen, Sennen und Hirten in ihren traditionellen Kitteln, die trachtentragende Trychelgruppe S-cheleders La Margna und die Kinder, die «Buatschinas d’alp» (kleine Kuhfladen) an die applaudierenden Zuschauer verteilen. Ganze 50 kg dieses süssen Festtagsgebäcks backen die «duonnas da la s-chargeda Schlarigna» für den Umzug und zum Verkauf am Festzelt.
Alle 5 Jahre, d. h. anlässlich der kleinen Jubiläen, verlegt Celerina den Alpabzug vom traditionellen Freitag auf einen Samstag, um noch mehr Menschen die Teilnahme am grossen Fest zu ermöglichen. Ganz besonders umfangreich und feierlich gestalteten sich die Feierlichkeiten für Teilnehmer, Einheimische, Gäste und Schaulustige 2019, als Elmar Bigger auf stolze 50 Jahre als Älpler der beiden Celeriner Alpen Laret und Marguns zurückblickte. So trugen u. a. verschiedene Musiker und Kapellen sowie eine Schau von Oldtimer-Traktoren zum Festvergnügen bei.
Nachdem die fröhliche Schar die urigen Celeriner Gassen hinter sich gelassen hat, findet sie sich auf dem Festgelände bei der Kirche San Gian wieder, wo bis weit in den Nachmittag hinein Musik und kulinarische Genüsse für vergnügte Hochstimmung sorgen. Ein ökumenischer Gottesdienst lädt zu besinnlichem Beisammensein ein. Die Kühe sind dann bereits auf der Reise in ihr wohlverdientes Winterquartier im Kanton St. Gallen. Erst im Juni, wenn der Schnee des Winters wieder gewichen ist, beginnt für sie ein neuer Alpsommer.